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FORUM KUNST IM BUNDESTAG | MARIE-ELISABETH-LÜDERS-HAUS | BERLIN
ONE MILLION – DAS BOOT | FOKUSAUSSTELLUNG

Ausstellungszeitraum: 25 Juli - 28 September 2025

www.bundestag.de

Zerbrochene Gefäße und das Recht auf ein Zuhause in der digitalen Revolution.

Seit 2014 arbeitet Uli Aigner an ihrem Projekt ONE MILLION – einem Langzeitkunstwerk, das sich zwischen Skulptur, Performance, Archiv und digitaler Zukunft bewegt. Ausgangspunkt ist eine einfache, fast archetypische Geste: das Drehen eines Porzellangefäßes von Hand. Doch diese Geste wird radikal vervielfacht und in eine zeitlich, räumlich und medial ausgedehnte Struktur überführt. Ziel des 2014 begonnen Vorhabens ist es, über 300 Jahre hinweg eine Million individualisierte Porzellangefäße zu schaffen – jedes ein Unikat, frei auf der Scheibe gedreht, nummeriert, für jemanden oder etwas bestimmt.

Sobald die Gefäße einen Besitzer oder eine Besitzerin gefunden haben, wird der neue Aufenthaltsort in einer digitalen Weltkarte eingezeichnet, die Gefäße und damit die mit ihnen verbundenen Menschen virtuell vernetzt (one-million.world/timeline). Diese digitale Identität ermöglicht nicht nur Rückverfolgbarkeit und Dokumentation, sondern verbindet alle Teilnehmenden des Projekts zu einer „virtuellen Tischgemeinschaft“.

Auch für den Auftrag zu Artikel 13 des Grundgesetzes (siehe oberer Ausstellungsraum), der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert, thematisierte Uli Aigner den Tisch als Zentrum jeder Wohnung, wendete den Blick jedoch in die entgegengesetzte Richtung, indem Sie Obdach- und Wohnungslosen ein eigenes, digital verzeichnetes Gefäß schenkte. Auch sie sitzen mit am Tisch, sind Teil einer Gemeinschaft.



Die hier realisierte raumgreifende Installation „ONE MILLION BOOT“ (ARCHIV SKULPTUR) zeigt mehr als eintausend von Uli Aigner handgedrehte Porzellangefäße, viele davon zerbrochen oder beschädigt, aber immer noch Teil des Systems „ONE MILLION“. Die bis zur Zerstörung der Gefäße reichenden Gebrauchsspuren erzählen von der Fragilität und der Zerbrechlichkeit menschlicher Existenz.

In Verbindung zum Grundgesetz-Werk zu Artikel 13 symbolisieren sie auch die Verletzungen und Brüche, die soziale Ausgrenzung verursacht. Sie fordern uns auf, über neue Formen des Schutzes und der Teilhabe im digitalen Zeitalter nachzudenken.

Das ONE MILLION BOOT ist Symbol für das Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Schutz und Ausgrenzung. Soziale und digitale Räume müssen gemeinsam gedacht werden, damit niemand in unserer Gesellschaft verloren geht – weder offline noch online.





ONE MILLION ist mehr als die Summe dieser Objekte. Es ist ein kommunikatives System, das Menschen via analoge Handarbeit mit digitalen Technologien, mit künstlicher Intelligenz, Datenarchiven und Weltvernetzung verbindet.

Der hand-arbeitende Körper – seine Müdigkeit, seine Wiederholung, seine Fehler – stehen dabei im Zentrum. Der Versuch, eine Million Gefäße mit bloßen Händen herzustellen, wird zur existenziellen Geste: absurd, poetisch, unendlich. Fast wie bei Sisyphos – oder wie Dürers Melancholia: ein Mensch, der handelt, obwohl er sich heute fragen kann, ob das Ziel eben doch erreichbar ist, durch den Einsatz digitaler Werkzeuge.

ONE MILLION ist eine künstlerische Infrastruktur, die Fragen nachgehen, worin der Handlungsspielraum des Individuums im Zeitalter des Digitalen besteht. Wie lassen sich Körper, Technik, Erinnerung und Zukunft neu denken – nicht gegeneinander, sondern miteinander?

ONE MILLION ist eine radikale Form des Materialdenkens – ein Projekt, das Handwerk nicht als Rückschritt, sondern als Widerstand gegen Entkörperlichung begreift und dabei zugleich Digitalisierung als Technologie und Kommunikationswiese der Zukunft nicht als Bedrohung, sondern als erweiterte Bühne für zukünftige Beziehung und Verantwortung begreift und sichtbar macht.