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SANATORIUM DR. BARNER | BRAUNLAGE / harz
EDITION ALBIN MÜLLER @ ORNAMENT UND MATERIE

Eröffnung: 10. Juni 2023, 15 Uhr
Dauer: 10. Juni – 09. September 2023

Location: Klinik Dr. Barner, Dr. Barner-Straße 1, 38700 Braunlage / Harz, Deutschland

Öffnungszeiten: samstags von 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei

-> www.stiftung-barner.de
-> Edition Albin Müller

Von 10. Juni bis 09. September 2023 findet in den historischen Jugendstil-Räumlichkeiten des unter Baudenkmals Sanatorium Dr. Barner die Gruppenausstellung ORNAMENT UND MATERIE. Zeitgenössische Positionen zum Jugendstil statt. Präsentiert werden ausgewählte und extra für den Ort entwickelte Arbeiten von: Uli Aigner, Lindy Annis, Heike Baranowsky, Veronika Kellndorfer, Inken Reinert, Eva-Maria Schön und Barbara Steppe.

Die in Berlin lebenden und multidisziplinär arbeitenden Künstlerinnen bespielen die öffentlichen Räume der Klinik Dr. Barner und beziehen sich in situ auf die Jugendstil-Ära mit ihren ornamentalen Designs und ihrer gesellschaftlichen Lebensreform. Im Fokus der von Lindy Annis konzipierten Ausstellung liegt der Dialog mit dem Jugendstil-Baudenkmal sowie seine Funktion als medizinisch-therapeutischer Ort.

ORNAMENT UND MATERIE wird anlässlich der Ausstellung Göttinnen des Jugendstils im Braunschweiger Landesmuseum präsentiert. Dort wird eines der wichtigsten Motive im Jugendstil – die Frau – thematisiert sowie die Bandbreite und Ambivalenz der Frauenbilder um 1900 untersucht.

Die Kunstaustellung ORNAMENT UND MATERIE fragt nach einer heutigen Betrachtung des Jugendstils. Sieben Künstlerinnen wurden eingeladen, in direktem Dialog mit den Räumen des Jugendstil-Sanatoriums zu treten. Während die Ausstellung in Braunschweig die Figur der Frau um 1900 betrachtet, gibt Ornament und Materie Künstlerinnen den Raum ihre Arbeiten in Relation zum Jugendstil zu positionieren.

So sind im Blauen Speisesaal Porzellan Gefäße zu sehen, die die österreichische Künstlerin Uli Aigner im Rahmen ihres ONE MILLION-Projekts gedreht hat. Die Becher transformieren den originalen Zahnputzbecher von Albin Müller in ein Universalgefäß, das von den Gästen des Hauses für Wasser, Tee oder Kaffee benützt werden kann.

EDITION ALBIN MÜLLER

Die Porzellan-Unikate der ONE MILLION Edition Albin Müller beziehen sich formal auf einen Jugendstil-Zahnputzbecher, den der Architekt Albin Müller selbst für das Sanatorium Dr. Barner in Braunlage im Harz als Klinik für innere Medizin und Psychotherapie entworfen hat.

"Die von mir leicht modifizierte Form des Universalbechers ist für alle Gäste und Besucher des Sanatoriums zum täglichen Gebrauch bestimmt."
Uli Aigner

"Als Gesamtkunstwerk, innen wie außen nahezu unverändert, ist das Sanatorium ein präzises Zeugnis für die hohe Qualität der Innenarchitektur und des Kunstgewerbes in der Spätphase des Darmstädter Jugendstils."
David Chipperfield Architekten

Lebens-Formen. Ornament, Materie und die Kunst der Einrichtung

Von Beate Söntgen

Die Trinkbecher von Uli Aigner sind die direkte Übernahme eines Gestaltungselementes der Originalausstattung. Es handelt sich um einen Becher, den der Architekt und Innenausstatter des Sanatoriums, Albin Müller, für dieses entworfen hat. Dieser Entwurf ist wichtiges Zeugnis des Anspruchs, das Sanatorium Dr. Barner mit den dort benötigten Gebrauchsgegenständen als Gesamtkunstwerk zu konzipieren und umzusetzen, mit der Vorstellung, dass die Kunst des Bauens und der Einrichtung wesentlich zur Gesundung beitrügen.

Das Ornament verlor den Ruf, schiere Dekoration zu sein. Vielmehr galt es nun als Mittel des Ausdrucks, das wiederum eigene Wirkmacht auf die Betrachtenden entfalten konnte. Es wurde verstanden als Lebenslinie, die psychische und physische Bewegungen bewahrte und daher auch Einfluss auf die Gestalt der Gesellschaft nehmen konnte – eine Vorstellung, die um 1900 philosophisch, wissenschaftlich und einfühlungstheoretisch grundiert wurde.

Aigner hat die Grundform des Bechers von Albin Müller übernommen, variiert diese aber, um den verschiedenen Vorlieben der Nutzer*innen entgegenzukommen. Auch das ornamentale Band am oberen Rand hat Aigner weggelassen. 70 verschiedene Varianten hat die Künstlerin gedreht, um sie den Patient*innen zum Gebrauch im Sanatorium, aber auch zum Erwerb für die weitere Nutzung zu überlassen. Das Projekt steht im Rahmen eines größeren: One Million, vor neun Jahren begonnen, ist als Aigners Lebensprojekt, ja als über ihre Lebenszeit hinausreichendes Unternehmen geplant. Die Künstlerin hat sich vorgenommen eine Million Gefäße anzufertigen für unterschiedlichste Gebrauchszusammenhänge, sei es die Küche ihrer Mutter, ein Hospiz für Obdachlose, ein Museum oder eben das Sanatorium Dr. Barner. Aigner erkundet die Bedürfnisse, Vorlieben und Gewohnheiten zukünftiger Nutzer*innen mit dem Ziel, die unterschiedlichsten Milieus, in denen die Gefäße zirkulieren, zusammenzubringen.

Wie schon im Jugendstil verbindet die Künstlerin neue Verfahren der Entstehung, der Distribution und der Rezeption gestalterischer Arbeit. Aigner macht keinen Unterschied zwischen dem, was lange als Hochkunst aus der Gebrauchswelt ausgegliedert wurde, und dem Kunsthandwerk, das eben wegen seiner Handwerklichkeit nicht als wirkliche Kunst galt. Aigner geht es aber nicht allein um Gebrauchszusammenhänge künstlerischer Gestaltung, sondern auch um die Durchdringung der Techniken und Technologien, mit denen sie arbeitet – auch dies eine Parallele vieler gestalterischen Arbeiten im Jugendstil, die neue Materialien und Technologien, so zum Beispiel die Möglichkeiten der sich gerade ausbreitenden Elektrifizierung auch der Alltagswelt, ausloteten.

BAUDENKMAL SANATORIUM DR. BARNER

Dr. med. et phil. Friedrich Barner (1859 - 1926) war einer der ersten Ärzte, die sich der Psychotherapie zuwandten, um ganzheitlich „Körper und Seele“ zu behandeln. Sehr früh erkannte er wie wichtig Umgebung und bauliches Ambiente für den Heilungsprozess sein können. 1912 beauftragte er den Darmstädter Jugendstil-Architekten Prof. Albin Müller (1871–1941) mit der Gestaltung des Neubaus des Sanatoriums. Bereits 1903 reiste Albin Müller zum ersten Mal in die nach Braunlage, um bei Friedrich Dr. Barner Heilung von seiner Schlaflosigkeit zu finden. Ab 1905 arbeitete der Innenarchitekt und spätere Direktor der Künstlerkolonie Mathildenhöhe Darmstadt an der Idee, das Sanatorium als Gesamtkunstwerk von Architektur und Raumkunst zu gestalten. Die ornamentalen Linoleum-Fußböden, Tapeten und Wandfassungen, Lampen, Möbel, Vorhänge und das Geschirr, sind bis heute in einer einzigartigen Vollständigkeit erhalten. Heute gehört das Sanatorium zu den bedeutendsten erhaltenen Jugendstilbauten Deutschlands und erhielt 2006 den Preis für Denkmalpflege der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und 2018 den Grand Prix Europa Nostra verliehen. Die Wahl fiel auf das Sanatorium wegen der behutsamen Restaurierung durch das Büro David Chipperfield Architects, sowie der immer noch bestehenden ursprünglichen Nutzung als Krankenhaus. Im Bericht der Jury wird das Sanatorium beschrieben als „ein kennzeichnendes Element des Europäischen Erbes und ein bedeutendes Beispiel der Architektur und Innenausstattung des frühen 20. Jahrhunderts.

Heute befindet sich in dem Baudenkmal die Klinik Dr. Barner, Fachkrankenhaus für Psychosomatik und Psychotherapie.